Foresight: 50 Möglichkeiten, über die Zukunft nachzudenken

Die Reise der Zukunftsforschung von der Vorhersage für Planungsprozesse bis zur Erkundung multipler Zukünfte zur Resilienzstärkung – und zurück?

Die Vergangenheit

In den vergangenen 50 Jahren hat sich Foresight von einer scheinbar obskuren Tätigkeit in kleinen Expert:innenkreisen und Nischenbereichen zu einem festen Bestandteil der Strategieentwicklung in einer Vielzahl von Politikfeldern und Sektoren entwickelt. Institutionell ist Foresight zu einem akademischen Fach mit einer differenzierten Community in speziellen Netzwerken, Organisationen, Konferenzen und Fachzeitschriften herangewachsen. In unserem Beitrag beleuchten wir, wie sich Foresight in den vergangenen 50 Jahren entwickelt hat, und erläutern einige der sich wandelnden Aspekte, mit denen sich die Forschung beschäftigt.

1. Von der Erkennung »der« Zukunft zur Erkundung multipler, offener Zukünfte

Die erkenntnistheoretische Grundlage von Foresight hat sich von einer Vorhersage hin zu einer Betonung des besseren Umgangs mit Ungewissheit und Komplexität durch die Erkundung multipler Zukünfte verschoben. Folglich erforschen Foresighter:innen jetzt die Vorteile ganzer Prozesse, wie z. B. die Erlangung von Resilienz, ebenso wie die Erzeugung von antizipatorischer Intelligenz zur Unterstützung der Entscheidungsfindung.

2. Von enger zu breiter Partizipation

Während die Einbeziehung unterschiedlicher Perspektiven in Foresight-Prozessen von Anfang an wichtig war, hat sich der Begriff der »Partizipation« erheblich weiterentwickelt. Während die frühen Foresight-Aktivitäten Personen mit unterschiedlichen beruflichen Hintergründen aus eng definierten Expert:innenkreisen einbezogen, streben Foresight-Aktivitäten heute nach Vielfalt entlang unterschiedlicher Dimensionen und wenden sich häufig an »normale Bürger:innen« als »Expert:innen des täglichen Lebens«. Akteursanalysen zielen darauf ab, die Beteiligung der heute dominierenden auf die morgen betroffenen Akteursgruppen auszudehnen. Sie sind zu einem Kernelement der Foresight-Theorie und -Praxis geworden.

3. Foresight und Innovationssysteme – Vom »Wiring Up« zum »Re-Wiring«

Die Innovationspolitik war einer der ersten Bereiche, in denen Foresight praktisch eingesetzt wurde, und ist immer noch einer der aktivsten. Entsprechend hat sich die Entwicklung der Theorie zu Innovationssystemen stark auf Foresight ausgewirkt. Die Rolle von Foresight entwickelte sich von der reinen Informationsübergabe an die Auftraggeber:innen oder Interessengruppen hin zu einer »Verdrahtung« (Wiring Up) und Umgestaltung von Innovationssystemen. Breitere Beteiligung bekam durch den Einbezug unterschiedlicher Perspektiven aus dem Innovationssystem neuen Schwung.

4. Bewusster Einsatz maschinellen Lernens

Eine der auffälligsten Entwicklungen ist die rasche Verbreitung neuartiger Ansätze zur Erfassung und Analyse von Daten. Zunehmende Datenverfügbarkeit, Rechnerkapazitäten und Algorithmen für maschinelle Analysen führten zu einer Fülle neuer Ansätze zur Identifizierung neuer Themen unter dem Oberbegriff »Horizon Scanning«. Auf die anfängliche Begeisterung folgte die bewusste Entwicklung hybrider Ansätze, die alle Vorteile sowohl der menschlichen Wahrnehmung als auch der maschinellen Analyse kombinieren (lernen).

5. Neue Kombinationen quantitativer und qualitativer Methoden

Die Einführung von Ansätzen des maschinellen Lernens ergänzte die bereits laufende Integration quantitativer Modellierungsansätze in qualitative Szenarien. Auch wenn die Foresight- und Modellierungs-Communities noch ziemlich getrennt sind, werden Überbrückungsversuche wie die »partizipative Modellierung« immer häufiger und ausgefeilter.

Zukünfte

Unter diesen Dimensionen des Wandels möchten wir einige aufkommende Themen hervorheben, die unserer Meinung nach die kommenden fünf Jahrzehnte prägen werden:

  • Foresight wird zunehmend gefordert sein, sich gegenüber transformativen, missionsorientierten Ansätzen zu positionieren. Das Gleichgewicht zwischen einer normativen Ausrichtung und dem im Foresight üblichen Umgang mit der Offenheit von Zukünften sowie der inhärenten Unsicherheit in komplexen Systemen wird höchstwahrscheinlich auch in den kommenden Jahren ein höchst dynamisches und umkämpftes Entwicklungsfeld bleiben.
  • Der zweite »Game Changer« sind maschinengestützte Ansätze: Sie eröffnen eine Reihe neuer Möglichkeiten und bringen verschiedene Perspektiven ein, stellen aber gleichzeitig eine große Herausforderung für adäquate sinnstiftende Aktivitäten, das »Sense-Making«, dar. Es besteht wieder oder weiterhin die Gefahr, dass sich der Fokus auf reflexive Prozesse umkehrt und rein prädiktive und deterministische Ansätze wieder im Vordergrund stehen.
  • Drittens wird Foresight zunehmend in umfassendere politische und strategische Prozesse eingebettet. Dies kann neue Wege für die reale Umsetzung von Foresight-Erkenntnissen und die Stärkung einer »Kultur der Vorausschau« in Organisationen eröffnen. Gleichzeitig stellt die sorgfältige Abwägung zwischen institutioneller Wirksamkeit und provokativer Infragestellung von Zukunftsannahmen eine Herausforderung für »institutionell eingebettete Foresighter:innen« dar.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Entwicklungen in den vergangenen 50 Jahren große Chancen für eine stärkere Verbreitung und bessere Wirkung von Foresight bieten, aber auch die Tendenz mit sich bringen, Foresight wieder in die deterministischen Paradigmen des »Planungsjahrzehnts« zurückzuführen. Chancen zu nutzen und gleichzeitig Risiken zu vermeiden wird mit Sicherheit eine große Herausforderung für Foresight im kommenden Jahrzehnt sein. Um diese Herausforderung zu meistern, werden Foresighter:innen ihre internationalen Kooperationen weiter ausbauen und die erkenntnistheoretischen Annahmen kontinuierlich weiterentwickeln müssen.

Layout: Renata Sas; Icons: Anatolii Babii/creativemarket, Renata Sas