Informationsfreiheit: Wie zugänglich sind öffentliche Archive?

Im Jahr 2000 veröffentlichte der Europarat eine Empfehlung, die den Zugang zu Archiven in den Mitgliedsländern verbessern sollte. Das Fraunhofer ISI evaluierte nun gemeinsam mit dem Vera and Donald Blinken Open Society Archives (OSA) Budapest, wie es über 20 Jahre danach um die Umsetzung dieser Empfehlung und die Zugangsbedingungen zu Archiven steht. Darüber hinaus gingen die Forschenden der Frage nach, welche technologischen, rechtlichen und politischen Herausforderungen für die Informationsfreiheit bestehen.

Archive sind für funktionierende Demokratien von zentraler Bedeutung, denn sie bewahren nicht allein wichtige historische Dokumente auf, sondern tragen hierdurch maßgeblich zur Transparenz staatlicher Institutionen bei. Gerade in der Zeit nach Ende des Kalten Krieges wurde der Öffentlichkeit über Archive Zugang zu vorher unzugänglichen Dokumenten und Informationen verschafft, was bei der Aufarbeitung der Vergangenheit sowie der Bewahrung kulturellen Erbes eine wichtige Rolle spielte.

Empfehlung des Europarats für einen besseren Zugang zu Archiven

In diesem Kontext verabschiedete der Europarat im Jahr 2000 die »Empfehlung R(2000)13«, die eine harmonisierte europäische Politik für einen besseren Zugang zu Archiven sowie mögliche Maßnahmen hierfür vorschlug. Um zu erfahren, inwiefern sich der Zugang und mit ihm die Informationsfreiheit seither entwickelt haben, hat ein Team aus Forschenden des Fraunhofer ISI sowie des Open Society-Archivs an der Zentraleuropäischen Universität Budapest eine Erhebung als Online-Umfrage unter Archiven und ihren Nutzenden durchgeführt, die von qualitativen Experteninterviews ergänzt wurde. Die Umfrage richtete sich an alle 46 Nationalarchive der Mitgliedstaaten des Europarats, 40 regionale oder kommunale Archive sowie 77 akademische Einrichtungen und 103 zivilgesellschaftliche Organisationen als wichtigste Nutzergruppen von Archiven.

Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass die nationalen Gesetzgebungen in den meisten Ländern nach über 20 Jahren zwar mit der Empfehlung weitgehend übereinstimmen, die tatsächlichen Zugangsbedingungen dies aber nicht immer widerspiegeln. So hat sich etwa die Zahl der Länder, in denen öffentliche Archiveinrichtungen von allgemeinen Zugangsregeln ausgenommen sind, im Vergleich zur Situation vor der Verabschiedung der Empfehlung nicht sonderlich verändert und liegt bei 39 Prozent. Auch existieren in 12 Ländern noch immer geheime Archive. Für einige ehemalige Ostblockländer stellte sich heraus, dass hier teilweise keine Informationen zu nicht-öffentlichen Beständen in den Archiven auffindbar sind, sodass Forschende keine Sondergenehmigungen oder Freigaben für derartige Dokumente beantragen können. Auch verweigern einige Archive Forschenden wegen »unzureichender Qualifikationen« immer noch den Zugang, ohne dies näher zu begründen oder lehnen diesen ab, weil das jeweilige Forschungsthema nicht nahe genug in Verbindung mit den Dokumenten und Themen des Archives steht.

Darüber hinaus brachte die Befragung gewisse grundsätzliche Zielkonflikte zwischen dem Wunsch nach Zugänglichkeit und dem Schutz von Rechten zutage: In 87 Prozent der Länder ist etwa aus Datenschutzgründen der Zugriff auf bestimmte Dokumente eingeschränkt, was sowohl Archive als auch wissenschaftliche Archiv-Nutzende bemängeln. Auch geben etwa 73 Prozent der befragten Archive an, in der Online-Verfügbarkeit von Dokumenten prinzipiell Vorteile zu sehen, weisen hier aber auch auf rechtliche Unsicherheiten wie etwa bei Copyright-Fragen hin. Viele Archive beklagen in diesem Kontext das Fehlen von Richtlinien, mit denen sich diese Interessenkonflikte auflösbar wären.

Digitalisierung und KI als Herausforderung

Auch wurde bisher oft nur ein geringer Teil der Dokumente, etwa 5 Prozent, digitalisiert und Nutzende sehen hier noch große Potenziale. Die Erwartungen mit Blick auf die Nutzung Künstlicher Intelligenz sind ebenfalls hoch, etwa bei der Strukturierung unsortierter Dokumentkollektionen. Der Einsatz von KI könnte aber auch zu Problemen führen, wenn etwa Algorithmen für Verzerrungen sorgen.

Dr. Michael Friedewald, der am Fraunhofer ISI das Geschäftsfeld Informations- und Kommunikationstechniken leitet und die Europarat-Studie koordinierte, fasst die zentralen Ergebnisse wie folgt zusammen: »Insgesamt haben die Mitgliedsländer des Europarats die Empfehlung zum Zugang zu Archiven weitestgehend in ihren jeweiligen nationalen Rechtsvorschriften verankert. Dies gilt zum Beispiel für Kroatien, Estland oder die Schweiz, wo die Empfehlung sehr umfänglich umgesetzt wurde und der Zugang zu Informationen heute sehr gut ist. Andere Länder wie Rumänien oder Österreich schnitten hier weniger gut ab. In manchen Ostblock-Staaten wie Bulgarien ist die staatssozialistische Vergangenheit zum Teil noch stark spürbar und die Zugänglichkeit zu Archiven und ihren Informationsangeboten gestaltet sich schwieriger. In den meisten westeuropäischen Ländern steht es erwartungsgemäß gut um die Informationsfreiheit, aber auch hier wurden längst nicht immer alle Aspekte der Europarat-Empfehlung umgesetzt. Dies liegt zum Teil daran, dass es keinen Druck von außen gab, hieran etwas zu ändern, wie es in Ostmitteleuropa durch die Aufarbeitung der staatssozialistischen Vergangenheit der Fall war. Wenngleich der Europarat über keine rechtsverbindlichen Instrumente verfügt, könnte er die Mitgliedsländer dennoch zu einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen Archiven und anderen Gedächtnisinstitutionen wie Bibliotheken und Museen aufrufen. Daraus könnten dann etwa Konzepte entstehen, wie sich individuelle Archivbestände besser zusammenbringen oder neue Gruppen von Nutzenden erschließen lassen. Um den Zugang zu Archiven und die Informationsfreiheit weiter zu verbessern, sollten auch die Rechte zum Schutz personenbezogener Daten sowie der informationellen Selbstbestimmung von den hierfür zuständigen EU-Institutionen besser miteinander in Einklang gebracht werden.«

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