Industriewärme elektrifizieren: Neues EU-Auktionsdesign im Überblick

Von Jan George, Matthias Rehfeldt und Johannes Eckstein /

Fast drei Viertel der industriellen CO₂-Emissionen in der EU entstehen bei der Produktion von Prozesswärme – ein großes und weitgehend ungenutztes Potenzial für Dekarbonisierung. Technologien wie Wärmepumpen und direkte Elektrifizierung von Industrieöfen können den fossilen Energieeinsatz in der Industrie ersetzen. Genau diese Elektrifizierung der Industrie fördert die EU-Kommission in einer neuen Pilotauktion mit einer Milliarde Euro. Das Regelwerk der Auktion (Terms and Conditions) wurde jetzt veröffentlicht. Das Fraunhofer ISI ist eng in die Ausgestaltung der Auktion eingebunden. Mit wissenschaftlicher Evidenz und umfangreicher Erfahrung unterstützen wir die Entwicklung eines Instruments, mit dem Fördermittel möglichst unkompliziert, aber wirksam sowie kosteneffizient und technologieneutral eingesetzt werden.

Hintergrund

Die EU verfolgt mit dem Clean Industrial Deal und der geplanten Industrial Decarbonisation Bank eine Doppelstrategie: Wettbewerbsfähigkeit sichern und gleichzeitig die Emissionen der Industrie senken. Nach erfolgreichen Auktionen für erneuerbaren Wasserstoff wird das Prinzip der wettbewerblichen Vergabe von Fördermitteln nun auf ein Feld ausgeweitet, das für die Energiewende wesentlich ist – die industrielle Prozesswärme.

Der Innovation Fund, gespeist aus Einnahmen des EU-Emissionshandels (EU ETS), ist dafür das zentrale Instrument. Mit einem Volumen von inzwischen über 40 Milliarden Euro gehört er zu den weltweit größten Förderprogrammen innovativer Klimaschutztechnologien. Auktionen sind dabei ein wichtiges Vergabeverfahren: Sie senken die Förderkosten durch Wettbewerb in den Förderanträgen und machen die Mehrkosten der klimaneutralen Produktion empirisch sichtbar. Die geförderten Projekte helfen, Märkte für klimafreundliche Technologien aufzubauen.

Ziel der neuen Wärmeauktion ist es, den Anteil klimafreundlicher Prozesswärme zu steigern: Derzeit stammen noch rund 75 Prozent der Prozesswärme – benötigt für alle Grundstoffe wie Zement, Stahl, Aluminium, aber auch für Papier, Glas und Nahrungsmittel – in der EU aus fossilen Brennstoffen, während Strom nur 4 Prozent ausmacht. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen, dass die direkte Elektrifizierung der Prozesswärme bereits vor 2030 starten sollte, um das EU-Ziel der Klimaneutralität im Jahr 2050 kosteneffizient zu erreichen.

Was ist geplant?

Die neue Ausschreibung wird als Pilotauktion am 3. Dezember 2025 starten und richtet sich an Unternehmen aus allen Industriebranchen. Der Innovation Fund der EU fördert mit dem neuen Instrument Investitionen und den Betrieb von Technologien zur Elektrifizierung von Prozesswärme – etwa industrielle Wärmepumpen, direkte und indirekte Widerstandsheizungen, induktive und dielektrische Verfahren sowie Plasmatechnologien. Auch direkte erneuerbare Wärme aus Solarthermie und Geothermie sowie Kombinationen dieser Technologien sind förderfähig.

Technisch sind viele Lösungen zur Elektrifizierung von Prozesswärme schon heute einsatzbereit, doch die Realität zeigt: Fossile Anlagen bleiben oft die Investitionsbasis, weil sie kurzfristig günstiger erscheinen. Die Auktion setzt hier an, die Förderung soll die bestehenden Kostenlücken schließen. Besonders interessant: Während bei Hochtemperaturprozessen noch erhebliche Förderbedarfe bestehen, kommt die Dampferzeugung mit integrierten Wärmepumpen der Wirtschaftlichkeit bereits sehr nahe. Bei geringen Temperaturhüben sind industrielle Wärmepumpen in den meisten EU-Mitgliedstaaten bereits heute wettbewerbsfähig.

Um den unterschiedlichen Wirtschaftlichkeitslücken und der heterogenen Kostenstruktur der verschiedenen Technologien gerecht zu werden, sieht das neue Förderprogramm drei »Fördertöpfe«, sogenannte Auktions-Baskets vor:

  1. Mittlerer Temperaturbereich zwischen 100 und 400 °C für Anlagen mit einer Kapazität zwischen 3 MW und 5 MW
  2. Mittlerer Temperaturbereich zwischen 100 und 400 °C für Anlagen mit einer Kapazität mit mehr als 5 MW
  3. Hochtemperaturbereich über 400 °C

Für die Pilotauktion zur Elektrifizierung der Prozesswärme wird über die drei Baskets hinweg insgesamt eine Milliarde Euro an Fördermitteln aus dem Innovationfund bereitgestellt.

Welche Grundlagen hat das Auktionsdesign?

Die wissenschaftlichen Grundlagen für diese Differenzierung der Temperaturbereiche stammen auch aus Arbeiten des Fraunhofer ISI, das seit Jahren die Rolle der Elektrifizierung industrieller Prozesswärme untersucht. In mehreren Studien, etwa dem Fraunhofer ISI Policy Brief und Arbeiten für Agora Industry, haben wir die technologischen Potenziale und wirtschaftlichen Bedingungen verschiedener Technologien in unterschiedlichen Industriebranchen analysiert.

Diese Erkenntnisse sind in die Konsultationen und in die finalen Terms and Conditions der Ausschreibung eingeflossen. Sie sind ein gutes Beispiel dafür, wie Forschung und Politikgestaltung Hand in Hand gehen.

Elektrifizierung der Dampferzeugung

Der mittlere Temperaturbereich zielt vor allem auf die Dampferzeugung in Branchen wie Chemie, Papier und Lebensmittel, Textil sowie Pharmazie ab. Hier zeigen unsere Analysen, dass industrielle Wärmepumpen besonders effiziente Lösungen zur Dekarbonisierung bieten, vor allem wenn diese Abwärme oder Umgebungswärme nutzen. Das Auktionsdesign setzt dabei bewusst nur wenige Einschränkungen für die Wärmequelle: So können industrielle Großwärmepumpen auf verschiedene Wärmequellen zugreifen – von Abluft und Kühlwasser bis hin zu Geothermie oder Oberflächengewässern.

Hochtemperaturbereich über 400 °C

Der zweite Förderstrang richtet sich an Hochtemperaturprozesse über 400 °C – insbesondere in der Mineral- und Metallindustrie, wo Öfen häufig über 1.000 °C erreichen. Elektrische Technologien wie Widerstandsheizung oder Induktion sind hier bereits marktreif, wurden bislang aber wegen hoher Kostenunterschiede zu fossilen Brennstoffen kaum eingesetzt. Ergänzend gewinnen innovative Ansätze wie Plasma- oder Stoßwellenheizungen an Bedeutung, die besonders hohe Temperaturen ermöglichen und zunehmend Marktreife erlangen.

Unsere Modellierungen zeigen, dass der Hochlauf elektrifizierter Hochtemperaturtechnologien bereits heute beginnen muss. Nur so lässt sich mit Blick auf Lebensdauern von über 25 Jahren Investitionssicherheit für die Anlagen erreichen.

Die Elektrifizierung solcher Hochtemperaturprozesse reduziert nicht nur den fossilen Energieeinsatz, sondern steigert auch die Energieeffizienz, da keine Abgase entstehen und nahezu die gesamte elektrische Energie in Wärme umgesetzt wird. Für die Förderung der Hochtemperaturtechnologien genügt der Nachweis der eingesetzten Strommenge, die 1:1 als erzeugte Wärme anerkannt wird – ein pragmatischer Ansatz, der den Effizienzvorteil elektrischer Verfahren anerkennt.

Die positive Klimawirkung überzeugt

Auch die Klimawirkung spricht klar für frühe Investitionen: Zwar können elektrifizierte Prozesse in einzelnen Mitgliedstaaten kurzfristig noch höhere indirekte Emissionen verursachen als der direkte Einsatz von Erdgas, doch mit dem fortschreitenden Ausbau erneuerbarer Energien sinkt der Emissionsfaktor des Stroms stetig.

Damit Elektrifizierung zugleich systemdienlich erfolgt, setzt das Auktionsdesign gezielte Anreize: Die jährliche förderfähige Wärmemenge ist begrenzt auf 70 Prozent der vollen Kapazität der Anlage über ein Jahr. Neben Projekten, die Wärmepumpen oder direkte erneuerbare Wärmequellen einbinden, sind Projekte von der Begrenzung befreit, die einen Energiespeicher integrieren und so in ihrer Stromnachfrage flexibel sind. Alternativ kann eine flexible Prozessführung den Anteil der förderfähigen Stunden auf 80 Prozent steigern. Mit diesen Ansätzen wird Flexibilität honoriert und ein Anreiz gesetzt, den Strombezug in besonders emissionsintensiven oder teuren Stunden zu reduzieren.

Wie geht es weiter?

Grundsätzlich stellt die EU-Kommission für die Auktion eine Milliarde Euro bereit, um die effizientesten Projekte EU-weit zu fördern. Zusätzlich können Mitgliedsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums eigene Mittel für Projekte im eigenen Land bereitstellen, die im EU-weiten Verfahren keinen Zuschlag erhalten haben. Über das Konzept der »Auctions-as-a-Service« (AaaS) können sie dabei auf die bestehende EU-Auktionsplattform zurückgreifen – ein Ansatz, der sich bereits bei den Wasserstoffauktionen bewährt hat.

Das Modell verbindet europäische Koordination mit nationaler Flexibilität: Die Kommission sorgt für einheitliche Verfahren und Transparenz, während Mitgliedstaaten eigene Fördermittel mit geringem administrativem Aufwand beihilferechtskonform einsetzen können. So entsteht ein harmonisiertes Förderdesign, das den Verwaltungsaufwand reduziert und die nationale Ausweitung der Industrieförderung erleichtert.

Zudem dient die Prozesswärmeauktion als Blaupause für die künftige Industrial Decarbonisation Bank, die derzeit von der Europäischen Kommission entwickelt wird. Mit einem Fördervolumen von insgesamt 100 Milliarden Euro soll diese Einrichtung den industriellen Wandel in Europa mit weiteren Politikinstrumenten unterstützen. Das Fraunhofer ISI begleitet die Konzeption der Industrial Decarbonisation Bank federführend in einem Konsortium mit Guidehouse, BBH und ICF. So tragen wir aktiv dazu bei, die Grundlagen für eine langfristig wettbewerbsfähige und klimaneutrale Industrie zu schaffen.