Statement zum Beschluss des EU-Parlaments zum Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor für neue Pkw und leichte Nutzfahrzeuge bis 2035

von Claus Doll und Martin Wietschel /

Das EU-Parlament hat beschlossen, dass ab 2035 nur noch Pkw und leichte Transporter neu auf den Markt gebracht werden dürfen, die keine klimaschädlichen Treibhausgase ausstoßen. Forschende des Fraunhofer ISI ordnen diese Entscheidung auf Anfrage des Science Media Center Germany ein.

 

Die Entscheidung des EU-Parlaments vom 8. Juni 2022 zur Revision der Richtlinie 2019/631/EU ist durch das Klimapaket »Fit-for-55« vorgezeichnet und somit folgerichtig. Ohne eine derartig konkrete Maßnahme ist die Erreichung der Klimaziele im Straßenverkehr nicht möglich.

Der Antriebswechsel stellt dabei eine wichtige, aber nicht die einzige Säule für eine Minderung der Treibhausgase im Verkehr dar. Entsprechend benennt der Richtlinienentwurf begleitende Maßnahmen für das »Mobilitäts-Ökosystem« wie Preise, Regulierung und Anreize.

Was das EU-Parlament beschlossen hat

Artikel 5a und b des angenommenen Revisionsvorschlags konkretisieren das Ziel, den Verkauf neuer Pkw und leichter Nutzfahrzeuge mit Verbrennungsmotoren ab 2035 in der EU zu verbieten, wobei Wasserstoff-Verbrennungsmotoren ausgenommen sind. Auch wird von leistungsfähigen Plug-in-Hybriden gesprochen, die in der Übergangsphase eine Rolle spielen können. Andere synthetische Kraftstoffe auf Kohlen-Wasserstoff-Basis sind aktuell hingegen von der Regulierung ausgeschlossen und dürfen damit nach 2035 nicht mehr verkauft werden. Allerdings wird festgelegt, dass im Rahmen des EU-Fortschrittsberichtes Innovationen weiter beobachtet werden, beispielsweise bei strombasierten synthetischen Kraftstoffen. Damit bleibt ein Fenster für deren spätere Integration geöffnet.

Der Revisionsvorschlag adressiert explizit weitere wichtige Themen für einen erfolgreichen Umstieg auf die Elektromobilität, wie den zügigen Aufbau alternativer Energieinfrastrukturen. Hierunter fallen der notwendige Aufbau einer Lade- und Tankstelleninfrastruktur und der Ausbau der Erneuerbaren Stromerzeugung.

© Stiftung Arbeit und Umwelt der Industrie­gewerkschaft IGBCE
Prognostizierte Markthochlaufentwicklung elektrisch betriebener Fahrzeuge in Europa bis 2050, Abbildung 29 aus der Studie »Branchenausblick 2030+ Automotive mit Schwerpunkt Ostdeutschland«

Der aktuelle Trend zur Elektrifizierung der Pkw-Flotte deutet bereits auf einen Marktanteil elektrischer Fahrzeuge nahe 100 Prozent bis 2035 in der gesamten EU hin (siehe Grafik). Das Verbot für neue Verbrennungsfahrzeuge schafft demnach im wesentlichen Planungs- und Rechtssicherheit für EU-Mitgliedsstaaten, Industrie und Verbraucher. Planungssicherheit ist wiederum wichtig für eine schnelle und konsequente Umstellung von Angebot und Nachfrage aus dem Verbrennungsmotor.

Emissionen im Verkehr müssen deutlich vor 2035 gesenkt werden

Unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Nutzungsdauer eines Pkw von 14 Jahren und dem Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2045 ist ersichtlich, dass spätestens ab 2035 keine Fahrzeuge in Deutschland mehr neu zugelassen werden können, die Treibhausgase emittieren. Berücksichtigt man weiterhin, dass nicht nur die Emissionen im Zieljahr relevant sind, sondern wegen der langen Verweilzeit der Treibhausgase in der Atmosphäre die kumulierten Emissionen, dann müssen die Emissionen im Verkehr sogar deutlich vor 2035 relevant gesenkt werden.

Der nach dem aktuellen Stand beschlossene Ausschluss von synthetischen Kraftstoffen außer Wasserstoff für Verbrennungsmotoren ist nachvollziehbar. Synthetische Kraftstoffe auf Basis der Biomasse im straßengebundenen Verkehr einzusetzen, ist mittel- und langfristig nicht sinnvoll. Die Menge an nachhaltiger Biomasse ist beschränkt, zudem wird sie in anderen Sektoren benötigt. Dies sind Bereiche in der Chemie, wo Kohlenstoff als Quelle benötigt wird, oder der internationale Flug- und Schiffsverkehr, wo wegen der zu geringen Reichweite Batterien oder Brennstoffzellen nicht zum Einsatz kommen können.

Strombasierte synthetische Kraftstoffe benötigen eine fünffach höhere Strommenge im Vergleich zu Elektro-Pkw, was einen massiv höheren Ausbau der Erneuerbaren notwendig macht. Sie werden weiterhin nach heutigem Kenntnisstand sehr teuer sein, sodass sie für den Pkw-Massenmarkt kaum in Betracht kommen. Der Ausschluss ist somit berechtigt ebenso wie die Überlegung, hier die weitere Entwicklung zu beobachten und darauf im Bedarfsfall reagieren zu können.

Wie sich ein Verbrenner-Aus auf den Arbeitsmarkt auswirken könnte

Viele deutsche und europäische Pkw-Hersteller haben bereits die Forschung und Entwicklung von Verbrennungsmotoren deutlich heruntergefahren und konzentrieren sich auf Elektrofahrzeuge. Beim Umstieg von Verbrennerfahrzeugen auf Elektrofahrzeuge sind Arbeitsplatzeffekte zu beachten. Gesamtheitliche Studien zur Beschäftigung während und nach dem Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor legen nahe, dass der Netto-Arbeitsplatzverlust insbesondere durch den Aufbau alternativer Energieinfrastrukturen gering ausfallen wird, oder sogar Arbeitsplätze entstehen können.

Jedoch stellt die Umschulung von Mitarbeiter:innen und die räumliche Verlagerung von Arbeitsplätzen ein massives Problem dar, welches durch den wahrscheinlich weiter zunehmenden Fachkräftemangel noch verschärft wird. Insofern muss der vorgelegte Revisionsvorschlag in eine breite Transformationsstrategie der europäischen Fahrzeug- und Energiewirtschaft eingebettet sein. Entsprechende Vorschläge finden sich in der aktuellen Fassung, sind aber weiter durch andere Ressorts der EU-Kommission zu konkretisieren.

Verkaufsverbot für Verbrenner allein genügt nicht

Da die Nutzungsdauer von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen bis zu 20 Jahre betragen kann und der Gebrauchtwagenmarkt von der Richtlinie ausgenommen ist, genügt ein Verkaufsverbot von Verbrennungsfahrzeugen zur Einhaltung der Klimaziele nicht. Das von der Richtlinie angesprochene Mobilitäts-Ökosystem umfasst alle Maßnahmen, um den Einsatz nicht CO2-neutraler Fahrzeuge zu erschweren und klimaneutrale Alternativen insbesondere außerhalb des motorisierten Individualverkehrs zu fördern.

Diese Maßnahmen sind insbesondere auf lokaler Ebene zu treffen und umfassen unter anderem:

  • Steuern und Abgaben auf Verbrennungsfahrzeuge, Kraftstoffe und deren Nutzung z.B. durch flächendeckende oder urbane Mautgebühren. Eine spezielle Förderung von Elektrofahrzeugen wird nicht notwendig sein, da – wie in der Entwurfsfassung erwähnt – Elektrofahrzeuge bereits jetzt kostenseitig konkurrenzfähig zu Verbrennungsfahrzeugen sind. 
  • Konsequente CO2-Gebühren und deren Umlage als Klimageld als Anreiz zu einer Klima- und Energieeffizienten Lebensweise. Die Vertagung der Debatte um ein Energiegeld und die Ablehnung des Vorschlags zur Revision des EU-Emissionshandels bei der Debatte des EU-Parlaments am 8. Juni 2022 sind entsprechend bedauerlich. 
  • Kapazitätssteigerung, Digitalisierung und mehr Attraktivität im öffentlichen Personennah- und Fernverkehr. Besonders im Fernverkehr nützt ein Umstieg vom Pkw auf die Bahn dem Klima und dem Gesamtenergieverbrauch des Sektors Verkehr. 
  • Stadtumbau für mehr Lebensqualität und zur Förderung einer autoarmen Mobilität. Analysen von Daten zur Verkehrsmittelwahl legen nahe, dass weniger Pkw-Anteil im lokalen Verkehr zu mehr Nutzung der Bahn im Fernverkehr führt. Dies bedeutet automatisch einen Umstieg zur Elektromobilität, da der Schienenpersonenregional- und Fernverkehr bereits heute in weiten Teilen elektrifiziert ist. 
  • Mobilitätsmanagement in Unternehmen, Schulen und Behörden. Hierzu zählen neben Informationskampagnen auch Mobilitätsbudgets für eine breite Palette an Verkehrsmitteln als Pendant zum »Alleskönner Auto«. Ebenso ist hier die Besteuerung von Firmenwagen ein seit langem diskutiertes und bislang nicht befriedigend gelöstes Thema. 
  • Regulierung des Pkw-Verkehrs. Der Antriebswechsel löst nur einen Teil der Verkehrsprobleme insbesondere in Ballungsräumen. Tempolimits und der Rückbau sowie die Preisgestaltung öffentlicher Parkplätze stellen preiswerte und wirksame Maßnahmen für weniger Energieverbrauch und Emissionen des Verkehrs dar. 
  • Effizienz von Elektrofahrzeugen. Insbesondere durch zunehmende Sensorik, Vernetzung, Infotainment und Automatisierung steigt der Energieverbrauch von Fahrzeugen erheblich. Dies geht zulasten der Reichweite von Elektrofahrzeugen und mindert damit deren Alltagstauglichkeit. Energieeffizienzstandards sollten deren Verbrauch auch im Sinne der Menge benötigter zusätzlicher grüner Energie begrenzen.
  • Elektrofahrzeuge können gesteuert geladen werden sowie die Fahrzeugbatterie als Speicher genutzt werden. Damit können fluktuierende Erneuerbare besser in das Energiesystem integriert werden. Hier sind die technischen und regulatorischen Maßnahmen zu schaffen. 
  • Förderung ressourcenarmer Batterie- und Elektronikproduktion sowie deren Recycling in einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft. Die Menge einiger kritischer Rohstoffe insbesondere für Kathoden von Akkus und Chips wird knapp und deren Bezug durch die aktuellen Verwerfungen der Weltwirtschaft zunehmend schwierig.
  • Importe von Gebrauchtwagen beobachten. Zur Vorbeugung von Importen faktisch neuer Gebrauchtwagen mit Herstelldatum nach dem 1. Januar 2035 sollte die Kommission im Rahmen ihrer periodischen Fortschrittsberichte die Strukturen auf den europäischen Gebrauchtwagenmärkten beobachten.

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