Lean 4.0: Besseres Wirtschaften durch die Kombination smarter und schlanker Produktionsmethoden

Das vor über drei Jahrzehnten in Japan erfundene Lean Management mit seinem Motto »Verschwendung durch eine schlanke Produktion vermeiden« hat sich als eines der handlungsleitenden Prinzipien der betrieblichen Wertschöpfung etabliert. Eine neue Studie des Fraunhofer ISI analysiert in diesem Kontext den Zustand und die Umsetzung von Lean 4.0-Prinzipien im Verarbeitenden Gewerbe in Deutschland. Dabei betrachtet die Studie auch Wechselwirkungen zwischen Lean Management und Industrie 4.0 und zeigt, dass beide Prinzipien nicht im Widerspruch stehen, sondern Synergieeffekte aufweisen.

Das Konzept einer digital vernetzten Produktion, auch Industrie 4.0 bzw. I4.0 genannt, verbreitet sich in den letzten Jahren zunehmend. Das Fraunhofer ISI hat in diesem Kontext einen I4.0-Readiness-Index entwickelt, der den Entwicklungsstand der produzierenden Unternehmen in Deutschland hinsichtlich ihrer Digitalisierung erfasst. Die neue Studie untersucht jetzt nach einem ähnlichen Prinzip die neu entstehende Managementdisziplin Lean 4.0, die eine Verknüpfung der Konzepte I4.0 und Lean Management darstellt.

Lean-Management in der betrieblichen Praxis

Für die empirische Betrachtung der Nutzung von Prinzipien der schlanken Produktion im Verarbeitenden Gewerbe wurden sieben Lean-Konzepte ausgewählt. Die größte Verbreitung gibt es bei den Methoden der Qualitätssicherung, die sechs von zehn Betrieben aktuell nutzen. Eine Produktionssteuerung nach dem Zugprinzip nutzen hingegen nur knapp drei von zehn Betrieben. Dieses hat unter den sieben betrachteten Konzepten die geringste Verbreitung. Nicht jedes Konzept für eine schlanke Produktion ist für alle Betriebe sinnvoll anwendbar, da sich die Betriebe auch in ihren Produktionsstrukturen unterscheiden. Insgesamt kann trotz dieser Tatsache nicht von einer hohen Verbreitung der Lean-Konzepte gesprochen werden, so die Forschenden.

© Fraunhofer ISI
Betriebe mit schlanker Produktion sind digital besser aufgestellt

Der neue Lean-Index zeigt: Viel Potenzial noch ungenutzt

Für die Messung des Umsetzungsgrades einer schlanken Produktion wurde am Fraunhofer ISI jetzt ein neuer Index entwickelt, der das Potenzial der Konzeptnutzung für jedes Unternehmen darstellen kann. Ein Betrieb mit einem Index-Wert von 0 benutzt überhaupt keine Methoden einer schlanken Produktion, während ein Betrieb mit einem Höchstwert von 7 sämtliche in der Erhebung betrachteten Lean-Prinzipien vollständig einsetzt. Je höher der Lean-Index in einem Betrieb ist, desto größer ist also die Umsetzung der Lean-Prinzipien.

Die Ergebnisse für alle Betriebe zeigen einen eher niedrigen Umsetzungsgrad mit einer durchschnittlichen Ausprägung von nur 2,2 - viel Potenzial bleibt also ungenutzt. Knapp jedes fünfte Unternehmen nutzt kein einziges der sieben ausgewählten Lean-Prinzipien in seiner Produktion, während die besten fünf Prozent der Betriebe einen Lean-Indexwert von über 5,7 aufweisen konnten. Gründe für diese großen Unterschiede sieht die Studie vor allem in der Betriebs- und Seriengröße sowie in der Fertigungsart begründet. Während kleinere Betriebe mit weniger als 50 Beschäftigten durchschnittlich einen sehr geringen Lean-Indexwert von 1,6 aufweisen, zeigt sich bei größeren Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten ein Durchschnittswert von 4,3.

Erst schlank, dann smart: Unternehmen mit schlanker Produktion sind besser für die digitale Zukunft gerüstet

Weiterhin zeigt sich, dass ein höherer Umsetzungsgrad der Lean-Prinzipien im Durchschnitt auch mit einer höheren Industrie 4.0-Bereitschaft der Unternehmen einhergeht: 38 Prozent der Betriebe ohne jegliche Nutzung schlanker Produktionsmethoden landen im I4.0-Index in der Gruppe der Nicht-Nutzer, während die Spitzengruppe im I4.0-Index einen hohen Lean-Umsetzungsgrad aufweist. Eine tiefergehende Analyse der zeitlichen Abfolge der Umsetzungen von Digitalisierungs- und Lean-Maßnahmen zeigt, dass neue I4.0-Technologien häufig erst nach der Verschlankung von Produktionsprozessen eingeführt werden, die Umsetzung der Lean-Prinzipien also wichtige Voraussetzung für die Digitalisierung der Produktion sein kann.

Schlanke und smarte Unternehmen mit höherer betrieblicher Performance

Daneben vergleicht die Studie die Lean 4.0-Orientierung mit der betrieblichen Performance. Es zeigt sich deutlich, dass Produktivität und Innovationspotenziale mit einer steigenden Lean 4.0-Orientierung zunehmen. Eine weitere Erkenntnis: Die Einführung einer Basisdigitalisierung ohne Verschlankung der Produktion kann die Wertschöpfung je Beschäftigtem eines Unternehmens bereits merklich steigern. Eine weitergehende Umsetzung einer schlanken Produktion erhöht zwar auch die Arbeitsproduktivität, zeichnet sich aber vor allem in einer höheren Quote von Produktinnovationen aus. Die digitale Spitzengruppe wird ohne den Einsatz von Lean-Prozessen kaum erreicht.

Dr. Christian Lerch, Leiter des Geschäftsfelds »Industrieller Wandel und neue Geschäftsmodelle« am Fraunhofer ISI, fasst die Ergebnisse so zusammen: »Grundsätzlich gilt, dass sich eine smarte und schlanke Produktion nicht gegenseitig ausschließen, sondern eher bedingen. Bereits knapp drei von vier Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe beschäftigen sich mit der neuen Managementdisziplin Lean 4.0, die somit in der Praxis längst angekommen ist. Das Erreichen der digitalen Spitzengruppe ist ohne den Einsatz von Lean 4.0 kaum möglich. Unsere Untersuchung zeigt allerdings auch, dass viele Betriebe in der Praxis noch eine Menge an Potenzial ungenutzt lassen.« 

Das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI analysiert Entstehung und Auswirkungen von Innovationen. Wir erforschen die kurz- und langfristigen Entwicklungen von Innovationsprozessen und die gesellschaftlichen Auswirkungen neuer Technologien und Dienstleistungen. Auf dieser Grundlage stellen wir unseren Auftraggebern aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft Handlungsempfehlungen und Perspektiven für wichtige Entscheidungen zur Verfügung. Unsere Expertise liegt in der fundierten wissenschaftlichen Kompetenz sowie einem interdisziplinären und systemischen Forschungsansatz.

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