Fraunhofer ISI erforscht Sharing-Konzepte für die Industrie

Obwohl sich mit der »Sharing Economy« in der deutschen Wirtschaft eine neue Tauschkultur etabliert hat, wurden bislang kaum Sharing-Konzepte für die Industrie entwickelt oder untersucht. Um diese Forschungslücke zu schließen, führt das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Projekt »Potenziale eines Wandels zu einer Industrial Collaborative Economy – Grundzüge einer kollaborativen Wirtschaftsform in der Industrie (WICE)« durch. Primäres Ziel ist die Erforschung von geeigneten Nutzungs- und Eigentumsmodellen, die zu einem Transfer des Sharing-Gedankens auf die Industrie beitragen. Neben der Analyse von Chancen und Risiken eines solchen Wandels erarbeitet das Projekt auch innovationspolitische Handlungsoptionen zur aktiven Mitgestaltung industriell-kollaborativer Wirtschaftsformen.

In den letzten Jahren hat sich in Deutschland und auch auf internationaler Ebene eine neue wirtschaftliche Tauschkultur entwickelt und die »Sharing Economy« deutlich an Bedeutung gewonnen. Immer mehr Menschen nutzen etwa Online-Plattformen zur Anmietung privater Wohnungen oder greifen auf Car-Sharing-Angebote zurück. Dabei tauschen entweder Privatpersonen (»Consumer-to-Consumer«) bestimmte Dienstleistungen untereinander aus oder Unternehmen bieten den Endkunden ihre Dienste ganz klassisch gegen Bezahlung an ("Business-to-Consumer"). Tauschbeziehungen zwischen Unternehmen sowie in der Industrie (»Business-to-Business«) spielen dagegen in den Diskussionen um die »Sharing Economy« bislang kaum eine Rolle.

Um die Auswirkungen und vor allem die Chancen einer zunehmend auf Tausch ausgerichteten Wirtschaftsform für die Industrie auszuloten, führt das Fraunhofer ISI das Forschungsprojekt »Potenziale eines Wandels zu einer Industrial Collaborative Economy – Grundzüge einer kollaborativen Wirtschaftsform in der Industrie (WICE)« durch. Dabei geht es vor allem um die Frage, wie neue Nutzungs- und Eigentumsmodelle zu mehr Wachstum, Innovation und Nachhaltigkeit in industriellen Betrieben und der Gesamtwirtschaft führen können. Die Entwicklung entsprechender Konzepte in der Industrie dürfte insbesondere von der fortschreitenden Digitalisierung vorangetrieben werden, was eine Reindustrialisierung begünstigen und zur Etablierung einer neuen Tauschkultur in der Industrie beitragen könnte.

Dr. Christian Lerch, der das Projekt WICE am Fraunhofer ISI leitet, erläutert dessen Ziele wie folgt: »Im Projekt wurden zunächst relevante wirtschaftswissenschaftliche Theorien identifiziert, mit Beispielen aus der Praxis verknüpft und daraus ein Konzept für eine industriell-kollaborative Wirtschaft entwickelt. Diese Wirtschaftsform ist zwischen dem vorherrschenden, traditionellen Produktionsparadigma und der Sharing Economy angesiedelt und weist drei Schlüsselkriterien auf: den fehlenden Eigentumsübergang an den Kunden, die lediglich temporäre Nutzung eines Produkts durch einen oder mehrere Kunden sowie die wichtige Rolle von Intermediären bzw. dritten Akteuren als neuen Anbietern. Durch die Übertragung des Produkt-Nutzungsrechts auf mehrere Kunden lässt sich einerseits der Nutzen eines Industrieguts maximieren – aber dem einzelnen Kunden stehen andererseits nicht mehr sämtliche Verfügungsrechte über das Produkt zu.«

Je nach Erfüllung der genannten Schlüsselkriterien lassen sich laut Lerch verschiedene Subformen der industriell-kollaborativen Wirtschaft unterscheiden: Dazu zählen klassische Leasing- und Outsourcing-Angebote, aber auch Pooling- oder Betreiberkonzepte sowie neuartige Kollaborationsformen wie mobile Vor-Ort-Produktionsanlagen von Herstellern für ihre Kunden. Teilweise kommen auch hochkomplexe Akteurskonstellationen durch intermediäre Akteure zustande. Als Beispiel lassen sich neue internetbasierte Plattformen nennen, auf denen Betriebe ihre Maschinen und Werkzeuge oder ganze Produktionsanlagen anderen Unternehmen zur entgeltlichen Nutzung anbieten.

Neben der Erforschung neuer Nutzungs- und Eigentumsmodelle werden im Projekt auch Handlungsoptionen aus den bisherigen Erkenntnissen für innovationspolitische Maßnahmen abgeleitet, um die Entwicklung industriell-kollaborativer Wirtschaftsformen gezielter mitgestalten zu können. Dies soll wirtschaftliche Potenziale freisetzen, nicht-intendierte Folgen vermeiden und zu einer positiven Gesamtentwicklung der deutschen Industrie beitragen.

Das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI analysiert Entstehung und Auswirkungen von Innovationen. Wir erforschen die kurz- und langfristigen Entwicklungen von Innovationsprozessen und die gesellschaftlichen Auswirkungen neuer Technologien und Dienstleistungen. Auf dieser Grundlage stellen wir unseren Auftraggebern aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft Handlungsempfehlungen und Perspektiven für wichtige Entscheidungen zur Verfügung. Unsere Expertise liegt in der fundierten wissenschaftlichen Kompetenz sowie einem interdisziplinären und systemischen Forschungsansatz.

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