Zukunft gestalten: Wie spekulatives Design die biobasierte Wertschöpfung neu denkt
Am 14. August 2025 luden Leipziger Forschende der Gruppe Futures and Innovation zum Netzwerksymposium des Fraunhofer-Projekts »Speculative Futures. Spekulatives Design als Impulsgeber für eine biobasierte Wertschöpfung« in das GRASSI Museum für Angewandte Kunst in Leipzig ein. Im Rahmen der Ausstellung »ZUKÜNFTE: Material und Design von Morgen« präsentierte das interdisziplinäre Team im Projekt entwickelte Designobjekte. Eine Podiumsdiskussion reflektierte den gemeinsamen Forschungsprozess und zukünftige Anwendungsfelder biobasierter Materialien und Produkte. Den Abschluss bildete eine Führung durch die Ausstellung, die den offenen, ko-kreativen Prozess des Projekts erlebbar machte.


Rückblick auf Forschungs- und Designphasen
Zum Auftakt blickte Projektleiterin Dr. Juliane Welz vom Fraunhofer ISI (Institutsteil Leipzig) gemeinsam mit Designerin Johanna Seelemann auf die drei Forschungs- und Designphasen zurück. Nach der ersten Phase, in der Interviews mit landwirtschaftlichen Betrieben geführt wurden, passte das Projektteam die ursprüngliche Fragestellung an: Statt der besseren Nutzung von Nebenprodukten rückten klimaresiliente Pflanzensorten wie Hirse und Amaranth in den Fokus. Ausgehend von der Leitfrage, wie sich die Landwirtschaft zukünftig wandelt und welche Rolle neue Technologien dabei spielen werden, hatte Designerin Seelemann den Waldgarten als zukunftsweisendes alternatives Anbausystem identifiziert. Auf dieser Basis entwarf sie Prototypen, die dort eingesetzt werden könnten.
Workshops zu Zukunftsbildern in der Landwirtschaft
In einem vom Fraunhofer ISI angeleiteten Workshop erarbeiteten Expert:innen aus Landwirtschaft und Wissenschaft aus den Zukunftsaussagen der geführten Interviews Eckpfeiler für spekulative Zukunftsgeschichten. Diskutiert wurden Szenarien wie:
- Familiengeführte Betriebe, die durch Aquaponik-Anlagen ein gastronomisches Angebot auf ihrem Hof anbieten,
- eine Gemeinschaft aus technikaffinen Landwirt:innen, die autonome Technologien nach praktischen Bedarfen entwickeln oder
- Ansätze einer regionalen, saisonalen und kooperativen Landwirtschaft.
Ein zweiter Workshop widmete sich den von Johanna Seelemann gestalteten Prototypen. Die zentrale Frage im Workshop lautete: Wie könnten diese Artefakte in einer möglichen Gesellschaft der Zukunft genutzt werden? Darüber tauschten sich Gestalter:innen, Zukunftsforschende und Expert:innen aus Landwirtschaft und Wissenschaft aus. Ergänzend entwickelte das Leipziger Team drei visualisierte Zukunftsgeschichten mithilfe Künstlicher Intelligenz. Pflückroboter, deren Bewegungen von Tieren inspiriert sind und biomimetische Robotik mit den spezifischen Anforderungen von Waldgarten verbinden, helfen hier bei der Ernte, Pflege und dem Monitoring von Wildobst und Sträuchern. Der Mensch bleibt trotzdem zentral, als Beobachter:in und Entscheider:in ist er Teil der Gemeinschaft, die Technik pflegt, Daten interpretiert und Verantwortung teilt. Die Ergebnisse der Workshops regen zum Spekulieren über die zukünftige Landwirtschaft und Gesellschaft an. Gleichzeitig stellen sie wertvolles Wissen über Zukunftserwartungen, Annahmen, Wünsche und Möglichkeiten der biobasierte Wertschöpfung bereit.
Designobjekte als greifbare Visionen der Zukunft
Beim Netzwerksymposium im GRASSI Museum präsentierte Johanna Seelemann zudem die vor Ort ausgestellten Objekte und erläuterte ihre Funktionsweisen. Im Rahmen des Projekts hat sie unter anderem vier Designobjekte konzipiert, die den natürlichen Kreislauf symbolisieren: eine Leuchte, ein Wandregal, einen Bokashi-Eimer und eine Trenntoilette. Alle Artefakte einer fiktiven zukünftigen Gesellschaft sind aus mineralisch gebundenen Holzspänen gefertigt und thematisieren auch grundlegende Aspekte unseres Lebensmittelkonsums – den Umgang mit organischen Abfällen, die Rückführung von Nährstoffen sowie die Schließung natürlicher Kreisläufe. Seelemann betonte dabei die bewusste Orientierung an Alltagsobjekten, da die Konsument:innen der Zukunft eine Schlüsselrolle bei der Gestaltung resilienter Ernährungssysteme spielen.
Ausstellung als Impulsgeber für die Zukunft
Die abschließende Podiumsdiskussion mit Silvia Gaetti (Kuratorin, GRASSI), Johanna Seelemann (Designerin), Martin Schieck (Universität Leipzig, Experimentierfeld EXPRESS) und Valentin Knitsch (Fraunhofer ISI, Leipzig) reflektierte, wie spekulatives Design neue Zukünfte erschließen kann. Gaetti hob hervor, wie die Interdisziplinarität des Projekts und der Ausstellung neue Denk- und Vernetzungsräume schafft – von Landwirtschaft über Abfallwirtschaft bis Kunst und Design. Auch das breite Spektrum der Ausstellungsgäste, von Kunstliebenden bis zu Mitarbeitenden aus Tech-Unternehmen und der Müllabfuhr, verdeutliche diesen offenen Ansatz. Seelemann hob die doppelte Rolle von Design hervor: Es regt zur kritischen Reflexion der Gegenwart an und eröffnet zugleich spielerische Räume, um über mögliche Zukunftsszenarien nachzudenken. Schieck bezeichnete die Ausstellung als einen Impulsgeber, der gewohnte Denkweisen aufbricht und Innovationen fördert. Knitsch ergänzte, dass spekulatives Design Menschen befähige, sich mit Zukünften auseinanderzusetzen, die sonst abstrakt oder verborgen blieben. Gemeinsam diskutierten die Beteiligten zudem Perspektiven für eine Fortführung des Projekts – auch mit Blick auf mögliche Kooperationen mit Industrie- und Handelspartnern.
Hintergrund
Das Fraunhofer-Projekt »Speculative Futures« wird im Rahmen des Netzwerks »Wissenschaft, Kunst und Design« gefördert und läuft noch bis Dezember 2025 in Kooperation mit dem Design Studio Johanna Seelemann. In dem Projekt werden durch spekulatives Design und Methoden der Zukunftsforschung neue Perspektiven auf klimaresiliente Pflanzensorten und alternative Anbausysteme entwickelt. Die Designobjekte waren von November 2024 bis August 2025 Teil der Sonderausstellung »ZUKÜNFTE« im GRASSI Museum für Angewandte Kunst Leipzig.