Technologietransfer neu denken: Wie Deutschland mit effektivem IP-Management international aufholen kann
Deutschland ist reich an Ideen, aber der Weg von der Forschung zum fertigen Produkt ist oft steinig. Überholte Regeln zum IP-Management und eine skeptische Gründungskultur bremsen technologische Innovationen. Nach internationalen Vorbildern könnte Deutschland vom Land der Ideen zum Land der Gründungen werden. Welche Reformen dafür notwendig sind.
Deutschland ist reich an klugen Köpfen, kreativen Denker:innen und kompetenten Fachkräften in der Forschung. An Ideen mangelt es nicht. Doch wenn es darum geht, diese Ideen aus der Forschung in die Praxis umzusetzen – also in konkrete Produkte, Start-ups oder Geschäftsmodelle –, gestaltet sich der Weg oft schwierig.
Dabei ist Deutschland im internationalen Vergleich grundsätzlich gut positioniert und verfügt über eine solide Grundlage für wissensbasierte Wertschöpfung (vgl. Abbildung). Die wissenschaftliche Exzellenz, die Breite und Tiefe der Forschungslandschaft sowie eine leistungsfähige industrielle Basis schaffen günstige Voraussetzungen für einen erfolgreichen Technologietransfer.
Deutschland forscht – andere gründen
Gleichwohl zeigen sich in der praktischen Umsetzung erhebliche Herausforderungen. Die bestehenden Transferprozesse sind oftmals langwierig, überreguliert und für Wissenschaftler:innen wenig attraktiv. In der Folge bleiben zahlreiche Forschungsergebnisse ungenutzt oder gelangen nur mit erheblicher zeitlicher Verzögerung in wirtschaftliche Anwendung.
Vor diesem Hintergrund ist eine strategisch ausgerichtete, institutionell verankerte und effizient gestaltete Nutzung geistigen Eigentums (»Intellectual Property«, kurz IP) nicht nur wünschenswert, sondern unabdingbar – sowohl zur Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit als auch zur nachhaltigen Stärkung Deutschlands als führendem Innovationsstandort.

Deutsche Hochschulen und Forschungseinrichtungen genießen weltweit einen ausgezeichneten Ruf. Doch der Weg von der zündenden Idee zum marktfähigen Produkt ist oft unnötig kompliziert.
Warum? Weil wir in Sachen geistiges Eigentum und Technologietransfer noch hinterherhinken. Dabei ist ein effektives IP-Management keineswegs Nebensache, sondern ein entscheidender Faktor für Innovationskraft. Es schützt Ideen, schafft Investitionssicherheit und bringt Entwicklungen schneller in die Wirtschaft.
Wenn Regeln rund ums geistige Eigentum Innovation bremsen
Ein großes Problem für die erfolgreiche Ausgründung technologiebasierter Unternehmen besteht darin, dass viele Forschungseinrichtungen die Rechte an Erfindungen für sich behalten und nur unter strengen Auflagen übertragen. Für Spin-offs heißt das, dass Gründer:innen keine vollständige Kontrolle über ihre Erfindungen und Technologien haben. Das stellt einen erheblichen Nachteil bei der Unternehmensgründung dar.
Jede Forschungseinrichtung hat zudem eigene Regeln für den Technologietransfer. Diese unterscheiden sich teils erheblich in ihrer Zielsetzung, der vertraglichen Ausgestaltung sowie in der zugrundeliegenden Verwertungslogik. Während einige Einrichtungen auf Beteiligungsmodelle setzen, bei denen geistiges Eigentum gegen Unternehmensanteile übertragen wird, bevorzugen andere klassische Lizenzierungsansätze mit Umsatz- oder Gewinnbeteiligung. Auch die Vertragsgestaltung variiert: Manche Forschungseinrichtungen arbeiten mit standardisierten Lizenzverträgen, andere verhandeln individuell zugeschnittene Vereinbarungen. Für Start-ups und Investoren, die auf transparente, zügige und rechtssichere Prozesse angewiesen sind, führt diese institutionelle Vielfalt nicht selten zu Intransparenz, langwierigen Verhandlungen und erheblichem bürokratischem Aufwand.
Auch rechtlich hinkt Deutschland hinterher – insbesondere im digitalen Bereich. Für zentrale Zukunftsfelder wie Datenverarbeitung, algorithmische Entscheidungsprozesse oder KI-generierte Inhalte fehlen bislang klare und einheitliche Regelungen. So ist etwa ungeklärt, wem die Rechte an von KI-Systemen erzeugten Inhalten zustehen oder wie geistiges Eigentum bei maschinell generierten Erfindungen rechtlich geschützt werden kann. Besonders problematisch ist zudem der Umgang mit personenbezogenen Daten in KI-Anwendungen: Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) verlangt eine eindeutige Rechtsgrundlage für jede Form der Datenverarbeitung – doch bei der Nutzung großer Sprachmodelle wie ChatGPT oder Copilot ist häufig nicht transparent, ob und in welchem Umfang diese Anforderungen erfüllt werden. Dabei sind gerade diese Fragestellungen von hoher wirtschaftlicher Relevanz und betreffen zentrale Innovationsbereiche der digitalen Transformation.
Kultur der Skepsis statt Gründergeist
Es sind jedoch nicht nur die Regeln und Strukturen, die Gründer:innen behindern, sondern auch die Kultur. In vielen Forschungseinrichtungen wird die kommerzielle Verwertung nach wie vor mit Skepsis betrachtet. Unternehmertum wird häufig als etwas angesehen, das nicht zur Wissenschaft passt. In Ländern wie den USA oder Israel sieht das ganz anders aus – dort werden Spin-offs gefeiert und nicht belächelt.
Hinzu kommt die Frage der Anreize: Warum sollten Wissenschaftler:innen ein Start-up gründen, wenn sie vom Erfolg kaum profitieren? Beteiligungsmodelle sind in Deutschland selten, kompliziert oder unattraktiv. Besser sieht es in Ländern aus, wo es echte Kapitalbeteiligungen oder finanzielle Anreize gibt, die den Transfer in die Praxis fördern.
Heilbronn als Spiegel nationaler Herausforderungen beim Technologietransfer
Was auf nationaler Ebene zu beobachten ist, spiegelt sich auch im Kleinen wider. Der Joint Innovation Hub am Fraunhofer ISI hat für eine Studie das IP-Management am Bildungscampus Heilbronn untersucht. Der Campus vereint eine Vielzahl renommierter Forschungseinrichtungen – von Universitäten mit Schwerpunkt auf Grundlagenforschung bis hin zu anwendungsorientierten Instituten wie denen der Fraunhofer-Gesellschaft.
Diese institutionelle Heterogenität bringt unterschiedliche Auffassungen über die Rolle, Nutzung und Verwertung von IP mit sich. Ein kohärentes und strategisch ausgerichtetes IP-Management wäre daher unerlässlich, um die interinstitutionelle Zusammenarbeit zu fördern und den Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in wirtschaftliche Anwendungen zu ermöglichen.
Die Ergebnisse der Studie zeichnen jedoch ein ernüchterndes Bild: Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern der Forschungseinrichtungen sowie Befragungen externer Stakeholder haben gezeigt, dass IP-spezifisches Fachwissen fehlt. Auch ein Mangel an Ansprechpartner:innen, Anlaufstellen und einheitlichen Rahmenbedingungen wurde festgestellt. Die Aussagen in den Interviews legen nahe, dass das Thema IP-Management am Bildungscampus bislang nur geringe Priorität hat und geistiges Eigentum daher häufig ungenutzt bleibt. Diese Mängel gefährden das Ziel, den Bildungscampus als leistungsstarken Innovationsstandort zu etablieren. Die Mehrheit der Befragten hält es für nötig, IP-Themen in Zukunft stärker zu priorisieren.
Die Herausforderungen in Heilbronn sind kein Einzelfall – vielmehr ist die Region ein Beispiel für strukturelle Schwächen, von denen viele Forschungsstandorte in Deutschland gleichermaßen betroffen sind.
Ein Blick über den Tellerrand: IP-Management im internationalen Vergleich
Ein Blick ins Ausland zeigt, dass es auch anders geht. In den USA dürfen Universitäten dank des Bayh-Dole-Acts geistiges Eigentum aus öffentlicher Forschung kommerzialisieren – mit klaren Regeln und echten Anreizen.
In Israel helfen professionelle Transfergesellschaften bei der Gründung von Start-ups. Und in Schweden gehören Erfindungen automatisch den Forschenden – das stärkt die Eigenverantwortung und den Unternehmergeist.
Deutschland | International | |
---|---|---|
Rechte an Erfindungen | Bleiben meist bei Forschungseinrichtungen | Rechte liegen bei den Forschenden (z. B. Schweden) |
Technologietransfer | Häufig langwierig und bürokratisch | Effizient durch professionelle Transfergesellschaften (z. B. USA) |
Gründungsanreize | Kaum Beteiligungsmodelle | Attraktive Anreize und Beteiligungsmodelle (z. B. UK) |
Kultur | Skepsis gegenüber Kommerzialisierung | Wissenschaft orientiert sich am Unternehmertum (z. B. Israel) |
Rechtlicher Rahmen | Keine einheitliche gesetzliche Regelung | Bayh-Dole-Act erlaubt Kommerzialisierung (z. B. USA) |
Strategische Ausrichtung | Innovationsfreiheitsgesetz (Koalitionsvertrag 2025) | IP-Strategie mit staatlicher Förderung (z. B. Singapur) |
Tabelle: IP-Management im internationalen Vergleich
Deutschland braucht eine nationale IP-Strategie für den Technologietransfer
Deutschland muss diesen internationalen Best Practices folgen und ein nachhaltiges IP-Management etablieren. Dazu gehören die Sensibilisierung für geistiges Eigentum in Wissenschaft und Wirtschaft, die systematische Förderung von IP-Kompetenzen durch Bildung und Ausbildung sowie die gezielte Stärkung der Zusammenarbeit zwischen Forschung, Wirtschaft und Politik.
Mit einer nationalen IP-Strategie und dem Innovationsfreiheitsgesetz gibt der Koalitionsvertrag 2025 wichtige erste Impulse. Gute Absichten auf dem Papier reichen jedoch nicht aus – jetzt ist entschlossenes Handeln gefragt. Wenn wir den Innovationsstandort Deutschland wirklich stärken wollen, brauchen wir mutige Reformen – strukturell und kulturell. Wir müssen den Technologietransfer vereinfachen, Standards schaffen, Forschende honorieren, Unternehmertum in der Wissenschaft verankern und endlich das digitale geistige Eigentum ernst nehmen.
Vom Land der Ideen zum Land der Gründungen
Denn eines ist klar: Deutschland hat die Talente, die Ideen und die Infrastruktur. Was fehlt, ist ein System, das Innovation nicht verwaltet, sondern freisetzt. Wenn uns das gelingt, dann bleibt Deutschland nicht nur das Land der Ideen, sondern wird auch wieder das Land der Gründungen.
Evidenzbasierte Empfehlungen für Unternehmen und Organisationen
Am Fraunhofer ISI leisten wir auf diesem Weg einen entscheidenden Beitrag: Mit unserer Forschung zu Innovationssystemen, Technologietransfer und IP-Strategien liefern wir eine fundierte Grundlage für politische Weichenstellungen und institutionelle Reformen. Unser Institut beschränkt sich dabei nicht auf die Analyse von Schwachstellen, sondern entwickelt praxisnahe Empfehlungen, wie der Weg von der Idee zur Anwendung effizienter und effektiver gestaltet werden kann. Für den Bildungscampus Heilbronn haben wir in unserer Studie eine Reihe an Vorschlägen für besseres IP-Management formuliert. Wenn Sie für Ihre Organisation oder Ihr Unternehmen ebenfalls Orientierung auf dem Weg in die digitale und nachhaltige Zukunft suchen, sprechen Sie uns gern an!
- Mehr erfahren:
Mehr Information
- Studie zum IP-Management am Bildungscampus in Heilbronn: Status Quo, Limitationen und Handlungsoptionen
- Der Joint Innovation Hub in Heilbronn
- Fraunhofer Heilbronn Forschungs- und Innovationszentren HNFIZ (hnfiz.fraunhofer.de)
- Forschungs- und Innovationszentrum Innovation & Foresight (hnfiz.fraunhofer.de)