Strom und Wasser: Intersektorales Lernen für eine nachhaltige Zukunft
Wie können Ansätze aus dem Stromsektor dazu beitragen, die Herausforderungen der Wasserknappheit zu meistern? Unser interdisziplinäres Team hat das Potenzial von innovativen Lösungen untersucht, die über Sektorgrenzen hinaus wirken. Wir zeigen, welche neuen Perspektiven sich für den Wassersektor ergeben.
Mit digitalen Innovationen nachhaltig gestalten
»Mit digitalen Innovationen nachhaltig gestalten«: Als wir, drei Doktorand:innen des Fraunhofer ISI den Aufruf der Fraunhofer-Zentrale lasen, hatten wir schnell eine Idee: Ansätze aus dem dynamischen Strom- auf den eher beständigen Wassersektor übertragen. Da die Folgen des Klimawandels – Hitzesommer, Dürren, sinkende Grundwasserspiegel – die zunehmende Wasserknappheit deutlich spürbar machen, sind innovative Lösungen dringend gefragt.

Schnell war unser Konzept entwickelt und unter dem Akronym PredictH₂Or eingereicht. Unter diesem Akronym stellten wir uns einen Superhelden vor, der eine intelligente Grundwasservorhersage mit progressiver Preissetzung für selbstbestimmte Verbraucher:innen kombiniert. Indem er dynamische Preise direkt an Endverbraucher:innen kommuniziert, kann er finanzielle Anreize für einen bewussteren Umgang mit Wasser fördern.
Wenn beispielsweise im Sommer Wasserknappheit herrscht, ist der über den Grundbedarf hinausgehende Wasserverbrauch teurer als in Zeiten mit höherem Grundwasserspiegel. Was wird dafür gebraucht? Vor allem präzise Vorhersagen zur Wasserverfügbarkeit sowie intelligente Wasserzähler, die den Verbrauch in Echtzeit erfassen.

Beim Symposium der Fraunhofer-Gesellschaft stellten wir 2023 unsere Idee einem hochkarätigen Publikum vor – und gewannen gegen acht andere Teams! Mit einer Anschubfinanzierung entwickelten wir unsere Idee weiter. Jetzt freuen wir uns, unsere Ergebnisse vorzustellen.
Vom Wettbewerb zum Forschungsprojekt
In unserem Forschungsprojekt haben wir in einem interdisziplinären Team aus sieben Wissenschaftler:innen systematisch die Übertragbarkeit von Konzepten aus dem Strom- auf den Wassersektor analysiert. Zusätzlich zur Anschubfinanzierung der Fraunhofer-Zentrale bekamen wir dafür eine Finanzierung aus unserem Institut. Und das hat sich gelohnt, denn unsere mit PredictH₂Or gewonnenen Erkenntnisse können wir auch für weitere Projekte im Nachhaltigkeitsbereich nutzen.
Unsere Analyse zeigt: Beide Sektoren basieren auf großflächigen Infrastrukturnetzen mit langer Lebensdauer und hohen Investitionskosten. Doch es gibt auch fundamentale Unterschiede: Der Wassersektor ist historisch gewachsen und eng mit der Entwicklung menschlicher Zivilisation verknüpft: Trink-, Abwasser- und Bewässerungssysteme ermöglichen seit Jahrtausenden das Leben in größeren Gemeinschaften – und sind Grundlage moderner Urbanisierung.
Der Stromsektor hingegen ist vergleichsweise jung, aber nicht weniger disruptiv: Früh wurde der Strommarkt liberalisiert, Erzeugung und Verteilnetze wurden getrennt, um Monopole zu verhindern und Wettbewerb zu fördern. Heute existiert ein integrierter europäischer Strommarkt, der Verbraucher:innen Wahlfreiheit bietet. Diese Marktöffnung sowie das Ziel einer klimaneutralen Stromproduktion haben starke Innovationsimpulse gesetzt.
Im Vergleich dazu ist der Wassersektor stark reguliert, investitionsintensiv und in seiner Entwicklung stärker von demografischen Faktoren abhängig. Zudem ist er in viele kleinere Einzugsgebiete unterteilt, in denen Wasserversorger de facto Monopolstellungen einnehmen. Die strenge Regulierung ist notwendig, um faire Preise, Versorgungssicherheit und insbesondere Trinkwasserqualität zu gewährleisten. Während Versorgungssicherheit und faire Preise als Ziele auch im Stromsektor gelten, existiert das Qualitätskriterium dort in dieser Form nicht.
Auch politisch zeigt sich ein Unterschied: Während Energie seit der Ölkrise der 1970er Jahre ein zentrales Thema ist – sichtbar an der Vielzahl von EU-Staaten mit Energieministerien – führen nur wenige Länder (Belgien und Bulgarien) Ministerien mit dem Schwerpunkt Wasser.
Chancen für intersektorales Lernen
Trotz der Unterschiede bietet der Vergleich mit dem Stromsektor wertvolle Impulse. Ein Beispiel: intelligente Verbrauchszähler. Im Strombereich längst etabliert, ermöglichen sie Echtzeitmessung und dynamische Preisgestaltung – wichtige Instrumente für das Lastmanagement und die Integration Erneuerbarer Energien. Auch im Wassersektor könnten smarte Zähler das Verbrauchsbewusstsein stärken, Leckagen aufdecken und so die Systemwartung verbessern.
Die intelligenten Verbrauchszähler bilden zudem die Grundlage für Blocktarife: Wer in Dürrezeiten seinen Pool füllt (ein bewusst zugespitztes Beispiel mit eher symbolischem Charakter), zahlt mehr – während ein definierter Grundbedarf zu einem gedeckelten Preis verfügbar bleibt. Zwar sind die Schwankungen im Wassersektor weniger granular als im Strombereich, doch eine saisonale Preisgestaltung ist eine mögliche Option.
Ein weiteres Potenzial liegt in der erweiterten Sektorkopplung. Während im Energiebereich bereits Strom, Wärme und Verkehr verknüpft werden (beispielsweise durch Wärmepumpen oder Elektroautos), verspricht die Einbindung des Wassersektors zusätzliche Nachhaltigkeitsvorteile – etwa durch Wärmerückgewinnung aus Abwasser, Kühlung von Photovoltaikanlagen oder grüne Fassaden zur Verbesserung des Mikroklimas.
Unsere Konzepte

Fazit
Viele Konzepte aus dem Stromsektor lassen sich nicht eins zu eins übertragen – doch intersektorales Lernen birgt enormes Innovationspotenzial. PredictH₂Or zeigt exemplarisch, wie neue Ideen entstehen können, wenn man über klassische Sektorgrenzen hinausdenkt. Die Erkenntnisse aus dem Projekt könnten nicht nur den Wassersektor transformieren, sondern auch als Modell für andere Bereiche dienen.
Weitere Einblicke in die Analyse und die Übertragbarkeit von Konzepten sowie deren Einfluss auf Resilienz, Effizienz und Nachhaltigkeit bietet unser aktuelles Working Paper »Exploring the Transferability of Market, Technical, and Regulatory Concepts from the Electricity to the Water Sector«.